• Mai
    10.

    Blickpunkt Bodensee : Die Insel Reichenau

    Geradeaus und vollkommen eben geht es ins Paradies. Der Weg führt knapp über
    der Wasserlinie auf einem Damm mit mächtiger Pappelallee direkt in ein Idyll. Vier Quadratkilometer umfasst die Insel Reichenau im westlichen Bodensee und ist der geeignete Ort, die Welt hinter sich zu lassen. Schon der Wanderbischof Pirmin wusste den Ort zu schätzen, als er im Jahre 724, also vor 1300 Jahren, hier ein Kloster gründete.

    Seit dem Jahr 2000 steht die Insel Reichenau auf der UNESCO-Welterbeliste.

    Von den einst 25 Kirchen und Kapellen haben sich drei romantische Kirchen erhalten, die von der klösterlichen Tradition zeugen. Zwischen Gemüsefeldern gelegen gerät zunächst St. Georg ins Blickfeld. Hier fand im neunten Jahrhundert die Georgs-Reliquie ihren Platz. Wie alle Gotteshäuser auf der Reichenau ist auch St. Georg problemlos zu erreichen und barrierearm  zu besichtigen. Auf jeden Fall sollte man einen Blick auf die großen Wandfresken im Kirchenschiff werfen, die vom Leben Jesu erzählen und stilistisch eng mit den im Kloster gefertigten Prachthandschriften verwandt sind.

    Sanfte Hügel prägen den Weg entlang eines Höhenrückens nach Mittelzell, wo die älteste Kirche,das Münster St. Maria und Markus, einige Schätze bereithält. Fast 800 Jahre alt ist der offene, in der Form eines umgekehrten Schiffes gezimmerte Dachstuhl. Hinter einem grandiosen barocken Gitter birgt das Tabernakel die Heiligblut-Reliquie. In einem Anbau an den geräumigen gotischen Chor mit einem imposanten Rippengewölbe befindet sich die leider über mehrere Stufen etwas umständlich zu erreichende Schatzkammer. Gerade neu eingerichtet und zeitgemäß arrangiert präsentiert sich recht dicht arrangiert der Münsterschatz. Unter einem gotischen Sternengewölbe glitzert und blinkt es vor lauter goldverzierten liturgischen Gefäßen und Gerätschaften aus dem sechsten bis zum 19. Jahrhundert. Besondere Bewunderung verdienen große Reliquienschreine, besonders der vergoldete Schrein mit den Reliquien des Evangelisten Markus.

    Wie bei allen Reichenauer Kirchen bietet ein kleiner, nahebei gelegener Museumsbau vertiefende Informationen zur Ausstattung, Geschichte der Kirche sowie zum Alltagsleben im Kloster.

    In Mittelzell führt zu ebener Erde die neu gestaltete,multimediale Präsentation mit analogen und digitalen Tools in die Entstehungszeit und das klösterliche Leben ein. Vor allem besticht die großzügige Gestaltung mit viel Bewegungsfreiheit und bester Visualisierung für alt und jung.

    Eine Oase der Stille stellen die  angrenzenden Klostergärten dar. Basierend auf historische Quellen wurden der Kreuzgang, die Kräutergärten sowie der Mönchsfriedhof mit Obstgarten artenkünstlerisch gerade neu angelegt und zeitgemäß interpretiert. Der Besucher wandelt ebenerdig im angenehmen Schatten des langen Kirchenschiffs.
    In den See hinausgeschoben und eingeschnürt von zwei Buchten sowie zwischen
    großflächigen Gewächshäusern und Gemüsefeldern steht auf einer sanften Erhebung am Inselende die zweitälteste Kirche des Trios. Schon von weitem macht St. Peter und Paul durch signifikante Doppeltürme auf sich aufmerksam.

    Von überragender Bedeutung ist die 900 Jahre alte Ausmalung der Chorapsis, das letzte große Werk der Reichenauer Malerei. In zwei Registern übereinander geordnet stehen gerahmt von Rundbögen zwölf Evangelisten und Propheten.


    Heute stellt die Gemeinde Reichenau mit ihren drei Ortsteilen einen lebendigen
    Organismus dar. Bis zu vier Prozessionen im Jahr zeugen von intensiv gepflegten
    Traditionen und offen zelebrierter Religiösität, welche bis heute stark das Inselleben prägt.

    Nach wie vor spielt der Gemüse- und Pflanzenanbau eine bedeutende wirtschaftliche Rolle, auch wenn der Tourismus die Wirtschaft dominiert. Wie zu Klosters Zeiten ist die Reichenau auch heute wieder für den Weinanbau berühmt. In den Kellern des alten Konventgebäudes neben dem Münster in Mittelzell lädt die Winzergenossenschaft zum Probieren ein.

    Anlässlich des diesjährigen Jubiläums bietet die Insel ein dichtes Programm mit Konzerten, Festspielen, Radtouren, spirituellen Angeboten und Präsentationen.
    Absoluter Höhepunkt ist eine prachtvolle Landesausstellung, die konservatorisch bedingt im fünf Kilometer entfernt liegenden Archäologischen Landesmuseum im alten Kloster zu Konstanz-Petershausen ausgerichtet wird.

    Das nun als Museum genutzte alte barocke Klostergebäude ist  über eine  großzügige Rampe am Haupteingang zu erreichen.Geräumige, völlig verglaste Aufzüge lassen die Besucher von Stockwerk zu Stockwerk schweben.

    Bis zum 20. Oktober sind hier einige der berühmten Prachhandschriften zu
    bewundern, die einst im 10. und 11. Jahrhundert im Reichenauer Kloster als
    Auftragsarbeiten für hohen Klerus und den Hochadel gefertigt wurden. Sie gehören zu den berühmtesten auf der Reichenau entstandenen Kunstwerken und wurden im Jahre 2003 als „kulturgeschichtlich einzigartige Dokumente, die exemplarisch das kollektive Gedächtnis der Menschheit repräsentieren“, zum UNESCO-Weltdokumentenerbe erhoben. Unter den rund 250 Exponaten finden sich eine Fülle weiterer Artefakte wie erlesene Gemälde, Skulpturen, Urkunden, viele Handschriften, liturgische Geräte, Elfenbeintafeln, Reliquiare, Glasmalereien, Alltagsgegenstände oder Architekturteile, die allesamt in 20 Kapiteln die Geschichte und das Leben im Kloster variantenreich vor Auge führen.
    Im Jahre 1508 bestand der Konvent nur noch aus zwei Mönchen und im Jahre 1540 wurde das Kloster dem Konstanzer Bischof als weiter bestehendes Priorat
    untergeordnet. Schon ins Jahr 1757 datiert die Auflösung des Klosters; um 1803
    verließen im Zuge der Säkularisation die letzten Mönche die Insel.

    Nachdem ab 1835 in Etappen auf der Spur der ehemaligen Furt der Bau des Damms zum Festland erfolgte,begann das Aufblühen der Insel als touristischer Ort. Seit dem Jahre 2001 leben wieder drei Benediktinerpatres auf der Insel.

    So schließt sich der Kreis der Geschichte.