Nov
06.
Welt-Polio-Tag: Die aktuelle Polio-Situation
Polioviren, die zum Genus Enterovirus gehören, können serologisch in drei Virus-Typen unterschieden werden (Typ 1, 2 und 3). Ihr einziges Reservoir ist der Mensch, die Übertragung erfolgt vorwiegend fäkal-oral. Nach einer initialen Virusvermehrung in den Rachenepithelien findet diese in der Folge hauptsächlich im Darm statt. Die Ausscheidung von Viren über den Stuhl beginnt ca. 2-3 Tage nach der Infektion und kann bis zu 6 Wochen andauern.
Bis zur Einführung der Impfung waren Wildviren aller drei Typen weltweit verbreitet. 1988 begann der breite Einsatz der trivalenten oralen Poliovakzine (OPV), was über die Zeit deutliche Erfolge brachte. 2015 wurden die Polio-Wildviren vom Typ 2 (WPV2) als ausgerottet erklärt, 2019 dann auch die Wildviren vom Typ 3 (WPV3). Als endemisch für das Polio-Wildvirus vom Typ 1 (WPV1) gelten zurzeit nur noch die beiden Länder Afghanistan und Pakistan . In Pakistan wurden in diesem Jahr bisher 39 und in Afghanistan 23 Fälle
verzeichnet (Datenstand: 22.10.2024)
Die orale Poliovakzine besitzt jedoch als Lebendimpfung den Nachteil, dass die attenuierten Impfstoffviren rückmutieren und so wiederum Polio-Erkrankungen auslösen können. In Regionen mit unzureichender Durchimpfungsrate können diese sog. Impfstoff-abgeleiteten Viren in Zirkulation gehen und werden als cVDPV bezeichnet (circulating Vaccine-Derived Polio Virus). Rückmutationen können bei allen drei Impfvirus-Typen auftreten, insbesondere jedoch
beim Typ 2. Nach der Eradikation des WPV2 wurde daher der Typ 2 aus der oralen Poliovakzine entfernt, parallel sollte eine zusätzliche Impfung gegen alle 3 Virustypen mit einem inaktivierten Impfstoff (IPV) etabliert werden. Diese Umsetzung ist jedoch nicht überall gelungen, weshalb es auch heute noch zu Erkrankungen durch zirkulierendes Impfstoff-abgeleitetes Poliovirus vom Typ 2 (cVDPV2) kommt. Speziell für den Einsatz bei Ausbrüchen von cVDPV2 wurde der neue, genetisch stabilere Impfstoff novel oral polio-vaccine nOPV2 entwickelt .
Im Jahr 2024 wurden mit Stand vom 21. Oktober 7 Fälle von cVDPV1 in der Demokratischen Republik Kongo und 1 Fall in Mosambik verzeichnet. Es gibt bislang 182 Erkrankungsfälle ausgelöst durch cVDPV2, die meisten davon in Nigeria (66) und im Jemen (33). Neben weiteren afrikanischen Ländern ist auch Indonesien betroffen (7 Fälle); zudem wurde eine Erkrankung im Gazastreifen verzeichnet [4]. Im Gazastreifen wurde eine Impfkampagne für über 500.000
Kinder gestartet, erschwert wird dies durch die anhaltenden kriegerischen
Auseinandersetzungen . In Spanien wurde im September erstmalig cVDPV2 in einer Umweltprobe in der Metropolregion Barcelona detektiert []. Erkrankungen mit cVDPV3 wurden in diesem Jahr bislang nicht gemeldet, es wurden aber 3 positive Umweltproben in Französisch Guayana verzeichnet
In Deutschland wird seit 1998 ausschließlich der inaktivierte Polio-Impfstoff (IPV) verwendet,ebenso in vielen anderen Ländern. Zu Erkrankungen mit Impfstoff-abgeleiteten Polioviren kommt es hauptsächlich in Gebieten mit unzureichenden hygienischen Bedingungen, in denen noch die orale Poliovakzine verimpft wird und in denen die Durchimpfungsrate der Bevölkerung gering ist. VDPV kann aber auch in bereits poliofreie Länder eingeschleppt werden, etwa durch Reisende.
Es bleibt zu hoffen, dass das Ziel der Polio-Eradikation in naher Zukunft erreicht werden kann.
Essentiell hierfür sind vor allem hohe Durchimpfungsraten und zuverlässige
Überwachungsmaßnahmen – auch in aktuell poliofreien Ländern
Von: Gastbeitrag Centrum für Reisemedizin