Jul
19.
Zehn Jahre ist es her, dass die Rechte von Menschen mit Behinderung in Deutschland durch das Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention deutlich gestärkt werden sollten. Was wurde erreicht, in welche Richtung muss sich die Zukunft entwickeln? Zentrale Fragen, die die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. (BAG SELBSTHILFE) bei der REHACARE 2019 vom 18. bis 21. September in Düsseldorf diskutieren will.
Nachholbedarf in vielen Bereichen
Dr. Martin Danner, Geschäftsführer der BAG SELBSTHILFE, blickt mit gemischten Gefühlen auf die Erfahrungen zurück, die er in Deutschland mit der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention gesammelt hat: „Wir sehen Schritte in die richtige Richtung, etwa durch das Bundesteilhabegesetz. Doch in vielen Lebensbereichen muss noch mehr getan werden – etwa im Bereich Bildung und Ausbildung, bei der Teilhabe am Arbeitsleben sowie in Sachen Barrierefreiheit. Dazu müssen auch private Unternehmen verpflichtet werden. Wir setzen uns unter anderem für digitale Barrierefreiheit in der Arbeitswelt ein.“
Jede Menge Nachholbedarf sieht Danner beim Schutz vor Gewalt und Diskriminierung, in der Rehabilitation und auf dem Feld der Selbstbestimmung. „Wir als Selbsthilfeorganisation sind in diesen Bereichen gefragt und wünschen uns eine gesetzlich verankerte Förderung, um als Interessenvertretung Einfluss auf Gesetzesprojekte nehmen zu können“.
Verbot von Ausschreibungen bei Hilfsmitteln
Mit großen Erwartungen wird in der Selbsthilfe die Umsetzung des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) diskutiert, das weitreichende, zum Teil überraschende Veränderungen in der Hilfsmittelversorgung mit sich bringt. So sind Ausschreibungen bei Hilfsmitteln jetzt verboten. Zuvor war diskutiert worden, dass sie nur dann untersagt werden, wenn sie einen hohen Dienstleistungsanteil haben. Das gilt zum Beispiel für die Stoma-Versorgung oder bei Inkontinenzhilfen. Dr. Martin Danner erklärt: „Der Grund für diese Forderung und das jetzige Verbot ist, dass viele Anbieter den Zuschlag erhielten, obwohl sie Hilfsmittel minderer Qualität lieferten und oft gar nicht in der Lage waren, ihre Aufgaben als Dienstleister zu erfüllen.“ Dadurch bekamen viele Menschen mit Behinderung unzureichende bis gar keine Einweisungen in die richtige Anwendung von Hilfsmitteln.
„Das neue Gesetz geht sogar einen Schritt weiter als gefordert und verbietet Ausschreibungen komplett. Stattdessen sollen die Krankenkassen Verträge mit den Hilfsmittelanbietern schließen,“ so Danner. Die BAG Selbsthilfe diskutiert nun mit den Verantwortlichen über die Gestaltung der Vertragsverhandlungen, damit es darin nicht nur um den Preis geht.
Rolle der Heilsmittelerbringer wird gestärkt
Erfreulich ist auch, dass die Termin-Servicestellen nun Informationen zu barrierefrei erreichbaren Arztpraxen bereithalten müssen. Eine weitere Folge des neuen Gesetzes: Die Heilsmittelerbringer, z.B. Physiotherapeuten, dürfen selbst entscheiden, welche Leistungen der jeweilige Patient benötigt. „Das bedeutet, dass der Arzt zwar weiterhin involviert ist - doch die Verantwortung der Heilsmittelerbringer steigt, ihre Rolle wird gestärkt“, erläutert der Geschäftsführer der BAG SELBSTHILFE. Nun stellt sich die Frage, wie die Abläufe künftig geregelt werden, ob es beispielsweise auch für die Physiotherapeuten ein Budget gibt, über dessen Verteilung sie entscheiden.
Anreize setzen für die Reha, Alten-und Behindertenpflege
Viel Diskussionsstoff für die Gesprächsrunden der Experten bei der REHACARE 2019 hält auch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) bereit. Dr. Danner: „Es gibt einen Strauß an Maßnahmen gegen den Pflegemangel in stationären Einrichtungen, der es unter anderem attraktiver machen soll, in Krankenhäusern zu arbeiten.“ Aber wie soll es in anderen Bereichen der Pflege weitergehen? Die Bundesregierung diskutiert neue Impulse. Die Selbsthilfe fordert, dass es für Pflegekräfte ebenfalls Anreize geben muss, in der Reha, Alten- und Behindertenpflege tätig und nicht von den Krankenhäusern abgeworben zu werden.