Sep
18.
Für Menschen mit Seh-, Hör- oder Mobilitätseinschränkungen bedeutet das Internet oft ein Tor zur Welt, über das sie Beziehungen aufbauen und Interessen pflegen. Aber auch wenn die UN-Behindertenrechtskommission in Artikel 21 den freien Zugang zu Informationen als Recht anerkannt hat, baut die Realität im Netz noch viele Hürden auf.
Zu diesen Hürden gehören beispielsweise die sogenannten grafischen Captchas, bei denen der Nutzer zu Sicherheitszwecken ein Wort, eine Ziffern- oder Zeichenfolge erkennen und angeben muss. Bilder, die keine Alternativtexte haben, sind auch von einem modernen Computer mit Sprachunterstützung nicht zu erläutern. Auch die Botschaft von Videos kann bei hörbehinderten Menschen nicht ankommen, wenn keine Untertitel oder gebärdensprachliche Begleitung integriert sind.
Die Europäische Union hat für den barrierefreien Zugang zu Internetangeboten Empfehlungen herausgebracht, die bis September 2018 im Rahmen des Behindertengleichstellungsgesetzes in deutsches Recht umgesetzt werden. In der Pflicht, neue Webseiten bis September 2019 barrierefrei aufzubauen, sind Behörden und andere öffentliche Stellen. Für bestehende Webseiten gilt eine Frist bis September 2020, mobile Anwendungen müssen bis September 2021 umgestellt werden.
Breite Anwendergruppen berücksichtigen
Barrierefreie Webseiten berücksichtigen die Anliegen verschiedener Zielgruppen. Hierzu gehören Blinde, die zum Lesen von Inhalten Programme wie Screenreader nutzen. Sie müssen sich genauso orientieren können wie Menschen mit Seheinschränkungen wie zum Beispiel der Rot-Grün-Schwäche, unter der immerhin fast zehn Prozent der Bevölkerung leiden. Menschen mit Spastiken, Rheuma, Gicht oder anderen Krankheiten, die keine Maus bedienen können, brauchen eine Navigation, die per Tastendruck möglich ist.
Eine Vergrößerung der Texte auf bis zu 200 Prozent, ohne dass Textteile verschwinden, ein hoher Kontrast zwischen Vorder- und Hintergrundfarben, die Steuerung aller Funktionen über die Tastatur und Orientierungs- oder Navigationshilfen zum Auffinden von Inhalten sind einige Beispiele der gesetzlichen Vorgaben.
Keine Regeln ohne Ausnahmen, das trifft auch in diesem Bereich zu. Besondere Bestimmungen gelten beispielsweise für pdf-Dokumente in einem Archiv oder die Wiedergabe von Abbildungen aus den Bereichen Kunst, Archäologie oder Wissenschaft. Auch die Inhalte von Dritten auf einer Webseite sind ausgenommen – sofern sie nicht in den Verantwortungsbereich einer öffentlichen Behörde fallen.
Leichte Sprache
Einer der Grundsätze für barrierefreie Webseiten verlangt laut BITV (Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung) eine leichte Sprache. So sollen sich auch Menschen mit einer geistigen Behinderung oder mit Lernschwierigkeiten im Internet informieren können dank besonderer Regeln bezüglich Wortwahl, Satzbau und Struktur. Der Begriff „leichte Sprache“ darf dabei nicht mit dem umgangssprachlichen Verständnis von leichter Sprache verwechselt werden. Gemeint sind etwa ein Satz pro Zeile im Webauftritt, die Wiederholung gleicher Worte und – wenn möglich – eine persönliche Ansprache des Lesers.
„Die wichtigsten Informationen über eine Behörde oder einer Organisation oder besondere Angebote für die Zielgruppe sollten in leichter Sprache zusammengefasst werden“, erläutert Heike Clauss, Projektleiterin „BIK für alle“, eine vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderte Initiative für barrierefreie Information und Kommunikation. „Ganze Webseiten werden in dieser Form nicht gestaltet.“
Die barrierefreie Umgestaltung einer bestehenden Webseite kostet natürlich Geld. Wie viel hängt vom Aufwand ab – also von der Komplexität eines Auftritts oder eventuell gewünschten interaktiven Elementen. „Mehrkosten bedeuten beispielsweise Untertitelungen von Videos, die aber die Auffindbarkeit in Suchmaschinen verbessern und so Besucherzahlen der Webseite erhöhen sowie zusätzliche Aufträge bedeuten können“, sagt die Projektleiterin. „Besser fährt der, der bei der Planung eines Internetauftritts von Anfang an die Barrierefreiheit anstrebt.“ Ihr Tipp aus der Praxis: „Wichtig ist, dass sich die Entwickler und Webdesigner auskennen und nicht erst ins Thema einarbeiten müssen, was dem Kunden als Aufwand berechnet werden muss.“
Internationale Harmonisierung von Normen
Die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen bei der Nutzung von Webseiten und mobilen Anwendungen sind in Europa die gleichen wie auf anderen Kontinenten. Deshalb sollen auch weltweit verbindliche Standards gelten.
„Wir wollen bis Sommer 2019 die EU-Regeln mit den USA harmonisieren“, erklärt Klaus-Peter Wegge, Leiter des Siemens Accessibility Competence Center (ACC) an der Universität Paderborn und Mitglied verschiedener internationaler Standardisierungs- und Normungsgremien. „Die Verabschiedung verbindlicher Normen ist zwar ein zäher Prozess, der manchmal Kompromisse erfordert, aber letztlich profitieren alle davon und der Aufwand für die beteiligten Länder wird kleiner.“
Mobile Barrierefreiheit ist unter anderem Thema auf dem ersten M-Enabling Forum am 27. September 2018 im Rahmen der internationalen Fachmesse REHACARE (26. bis 29. September) im Congress Center Düsseldorf CCD. Süd, Raum 3.
Behörden, öffentliche Einrichtungen, Unternehmen, Verbände und Organisationen, die ihren Internet-Auftritt nach den aktuellen Vorgaben gestalten wollen, finden kompetente Ansprechpartner in der Bundesfachstelle Barrierefreiheit (www.bundesfachstelle-barrierefreiheit.de).
Über die REHACARE INTERNATIONAL Düsseldorf
Die REHACARE INTERNATIONAL ist Europas führende Fachmesse für Rehabilitation und Pflege. Sie findet alljährlich im Herbst im Düsseldorfer Messegelände statt. 960 Aussteller aus 40 Ländern bieten bei der REHACARE 2018 vom 26. bis 29. September in sechs Messehallen einen repräsentativen Überblick über Hilfen für ein selbstbestimmtes Leben. Informationsveranstaltungen in den Hallen, Themenparks und ein Kongress laden dazu ein, sich über die aktuellen Themen rund um Rehabilitation, Pflege und Älterwerden zu informieren. Die Fachmesse ist mittwochs bis freitags von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet, am Samstag von 10.00 bis 17.00 Uhr. Weitere Informationen sowie Eintrittskarten für Fachmesse und Kongress sind auf www.rehacare.de erhältlich.
Von: Pressemitteilung