• Sep
    08.

    Blickpunkt Düsseldorf: REHA CARE 2018

    Eine Reihe von Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit die vielen technischen Neuheiten im Markt für Rehabilitation und Pflege, wie sie bei der internationalen Fachmesse REHACARE in Düsseldorf zu sehen sind, von den Betroffenen genutzt werden können. Dr. Martin Danner, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung, chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V. (BAG SELBSTHILFE) gibt im Interview Auskunft dazu. Er erklärt, wie Hilfsmittel erstattungsfähig werden und warum es mehr Forschung im Hinblick auf den Bedarf an sinnvoller Unterstützung geben sollte.

    Bei der REHACARE 2018 werden wieder viele neue Hilfsmittel für Menschen mit Behinderungen vorgestellt. Welche Kriterien müssen die Produkte erfüllen, um in das Hilfsmittelverzeichnis der Gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen zu werden?

    Danner: Sie müssen vor allem sicher sein, das heißt, eine CE-Kennzeichnung ist notwendig (Anm. d. Red.: Ein Kennzeichen für die Konformität eines Produkts mit den geltenden rechtlichen Bestimmungen der EU). Ferner muss nachgewiesen werden, dass das Hilfsmittel funktionstauglich ist und den geltenden Qualitätsanforderungen - etwa des Medizinproduktegesetzes – entspricht. Sollte es erforderlich sein, muss auch der medizinische oder pflegerische Nutzen nachgewiesen werden. Im Detail sind die Anforderungen an Hilfsmittel und die damit zusammenhängenden Dienstleistungen sehr unterschiedlich. Es kommt immer darauf an, in welcher Produktgruppe des Hilfsmittelverzeichnisses der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) das Hilfsmittel oder die Dienstleistung gelistet hat. Für die Anpassung eines Hörgerätes oder einer Prothese gelten naturgemäß andere Kriterien als für die Beschaffenheit von orthopädischen Schuhen oder Infusionshilfen.

    Das bedeutet, dass technische Neuheiten verordnet werden können, sobald sie im Verzeichnis gelistet sind?

    Danner: Sagen wir es so: Diese Tatsache ist quasi gleichbedeutend mit einem vorweg genommenen Sachverständigengutachten. Die Aufnahme in das Verzeichnis signalisiert, dass der Arzt beim Verschreiben auf der sicheren Seite ist und sogar gleich die Produktnummer notieren kann. Allerdings kann es zuweilen Monate bis Jahre dauern, bis ein Hilfsmittel in das Verzeichnis gelangt.

    Wie kommt das?

    Danner: Der Hersteller muss dafür einen Antrag stellen und Nachweise zur Qualität, Sicherheit, Funktionstauglichkeit und zum pflegerischen oder medizinischen Nutzen des Produktes erbringen. Dieser Antrag muss vom GKV-Spitzenverband geprüft werden, und wenn dafür zum Beispiel Studien ausgewertet werden müssen, dann verzögert sich das Verfahren. 

    Das heißt, innovative Hilfsmittel können in dieser Zeit noch nicht von den Betroffenen genutzt werden?

    Danner: Nicht unbedingt, da ja durch die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis quasi „grünes Licht“ für die Verordnungsfähigkeit gegeben ist. Auch nicht gelistete Hilfsmittel können verordnungsfähig sein. Das muss aber dann im Einzelfall vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen geprüft werden. Auch auf diesem Weg kann es zur Erstattungsfähigkeit eines Hilfsmittels kommen.

    Wenn der Arzt verschreibt, heißt das zwangsläufig auch Kostenübernahme durch die Krankenkassen oder muss das vorweg geklärt werden?

    Danner: Die Verordnung durch den Arzt wird jeweils von der Krankenkasse geprüft. Man braucht also beides, um zur Erstattungsfähigkeit zu kommen.

    Ist die BAG SELBSTHILFE der Meinung, dass der technische Fortschritt im Hilfsmittelverzeichnis ausreichend berücksichtigt wird?

    Danner: Das ist nicht leicht zu beantworten. Das Hilfsmittelverzeichnis wurde jahrelang vom zuständigen GKV-Spitzenverband nicht richtig aktualisiert. Daher hat der Gesetzgeber reagiert und dem GKV-Spitzenverband Druck gemacht. Aktuell läuft eine regelrechte Aktualisierungswelle zu den Produkten des Verzeichnisses. Ferner muss man aber sehen, dass sich das Verzeichnis prinzipiell nur auf das medizinisch Notwendige bezieht, nicht auf alles, was technisch möglich ist. Das Verzeichnis soll also einen Überblick über diejenigen Hilfsmittel bieten, die auch tatsächlich von den Krankenkassen erstattet werden. Neue Hilfsmittel, die der technische Fortschritt mit sich bringt, haben allerdings vielfach Vorteile, die über die gesicherte gute Grundversorgung hinausgeht. Das heißt, es wird beispielsweise ein besonders leichter oder geländegängiger Rollstuhl angeboten. Oder ein Hilfsmittel, das Daten senden bzw. auswerten kann. Mit diesen Neuheiten können nach den Vorgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung nicht grundsätzlich alle Menschen ausgestattet werden.

    Müssen also die Rahmenbedingungen für die Aufnahme in dieses Verzeichnis geändert werden – und wenn ja, wie?

    Danner: Wir als Selbsthilfe-Vereinigung wünschen uns, dass der GKV-Spitzenverband das Hilfsmittelverzeichnis nun fortlaufend aktualisiert und zeitnah auf Neuheiten reagiert. Auch Anträge auf Neuaufnahme eines Produkts in die Liste könnten mit einer kurzen Frist bearbeitet werden. Für innovative Arzneimittel wird die Nutzenbewertung beispielsweise innerhalb von sechs Monaten durchgeführt. Das müsste auch bei Hilfsmitteln möglich sein.

    Wäre es nicht sinnvoll, ein Zuschuss-System für aufwändige Hilfsmittel zu schaffen?

    Danner: Dabei wäre die Gefahr zu groß, dass die Menschen ähnlich wie beim Zahnersatz den Eindruck bekommen, dass die Grundversorgung nicht ausreicht und sie selbst investieren müssen. Unser Ziel als BAG SELBSTHILFE ist hingegen, dass es auch für Menschen, die wenig Geld haben oder Empfänger von Hartz IV-Leistungen sind, zum Beispiel taugliche Hörgeräte zu einem Festbeitrag oder einen guten Rollstuhl nach dem Sachleistungsprinzip gibt. Wer eine besondere, über das Notwendige hinausgehende Ausstattung haben möchte, zahlt ja jetzt schon dazu, um sich diese zu leisten.

    Gibt es weitere Wege, die aus Ihrer Sicht in nächster Zeit eingeschlagen werden sollten, damit gute, neue Hilfsmittel schnell verfügbar werden? Denn es fördert ja die Inklusion, wenn Menschen mit Behinderung zeitgemäße Möglichkeiten der Unterstützung in Anspruch nehmen können.

    Danner: Wir sprechen ja momentan von einem eher marktgetriebenen, wirtschaftlich orientierten System, was Innovationen angeht. Aus Sicht der Selbsthilfe wäre es wünschenswert, wenn Versorgungsdefizite wissenschaftlich besser analysiert und auf diese Weise festgestellt würde, wo es Bedarf gibt bzw. wie dieser genau aussieht. Dann könnte es gezielte Ausschreibungen für die Entwicklung entsprechender Hilfsmittel geben und eine Förderung der Institutionen für Versorgungsforschung.  Generell könnten Unternehmen und Institutionen hinsichtlich der bestehenden Innovationspotenziale gezielt bei den Betroffenen nachfragen. Die Selbsthilfegruppen, die ja Spezialisten für den Bedarf sind, könnten dann bei der Entwicklung dieser Hilfsmittel oder bei der Organisation von dazugehörigen Dienstleistungen mithelfen.

    Können Sie hierfür ein konkretes Beispiel nennen?

    Danner: Na ja, hier ließen sich zahlreiche Beispiele benennen, da es in der Praxis immer wieder vorkommt, dass Hersteller Kritik an der Mechanik eines Produkts, am Gewicht eines Hilfsmittels und Ähnliches von den Betroffenen oder den Pflegekräften gemeldet bekommen. Viel Potenzial besteht aber auch bei den Dienstleistungen, die zur Anpassung von Hilfsmitteln erforderlich sind. Klassische Fälle sind die Hörgeräte, die nicht richtig eingestellt werden können und in der Schublade landen, also nie genutzt werden. Wenn hierfür die Dienstleistung zusammen mit den Trägern der Hörhilfen besser organisiert würde, wäre schon einmal ein Problem gelöst. Vergleichbares gilt in vielen weiteren Bereichen.

    Über die REHACARE INTERNATIONAL Düsseldorf

    Die REHACARE INTERNATIONAL ist Europas führende Fachmesse für Rehabilitation und Pflege. Sie findet alljährlich im Herbst im Düsseldorfer Messegelände statt. 960 Aussteller aus 40 Ländern bieten bei der REHACARE 2018 vom 26. bis 29. September in sechs Messehallen einen repräsentativen Überblick über Hilfen für ein selbstbestimmtes Leben. Informationsveranstaltungen in den Hallen, Themenparks und ein Kongress laden dazu ein, sich über die aktuellen Themen rund um Rehabilitation, Pflege und Älterwerden zu informieren. Die Fachmesse ist mittwochs bis freitags von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet, am Samstag von 10.00 bis 17.00 Uhr. Weitere Informationen sowie Eintrittskarten für Fachmesse und Kongress sind auf  www.rehacare.de erhältlich.